Die Kunst des Lebens – Lebenskunst

 

Ich erwache aus einer bewegten Nacht. Mit dem Eindruck, wieder in eine so komplizierte Welt hineinzumüssen. Mein Körper rettet mich. In einer kurzen Meditation muss ich erst einmal nichts tun, um „in ihr“, in dieser Welt zu sein, oder doch eher in einer anderen, mit einem kurzen Gedanken- oder Seelensprung, ein „Wanderer zwischen zwei Welten“… Ich will an diesem Morgen einfach nur spüren, was in mir wiegt und zittert. In diesem Leben versuche ich, einem menschgewordenen Gott zu folgen. Hinter meinen Augenlidern, hinter meinem noch in sich verschlossenen Herzen schaue ich auf Ihn. Meine Anziehung zu Ihm findet ihren Ausdruck in der Torheit jener Maria, die seine Füße mit Parfüm salbt. Mein Skrupel spricht sodann mit Judas: „Und die Armen? So viel für so wenig?“ Jetzt aber, in meinem / unserem Glauben, soll und darf die Schönheit Priorität haben. Der unnötige Duft der Bewunderung soll die Welt erfüllen, und sei sie auch noch so klein oder so groß und unüberfühlbar. Als LebensKÜNSTLER müssen wir die Welt umarmen, nicht erobern. Verwandeln? Durch den Blick, den AugenBlick. Leben ist zuerst Gabe, nicht AufGabe. Leben ist zuerst Gabe, nicht AufGabe.

Auf der Straße sehen die Leute blass und traurig aus. Der unendliche Pariser Louvre würde mich retten. Aber kilometerlange Malerei ist auch leblos. Ich würde sie wie so vieles bloß konsumieren, wie mich selbst. Wie die unendlichen Produktreihen im Supermarkt, deren irdischen, göttlichen Ursprung wir mit uns selbst vergessen haben.

Kunst erreicht uns in Schlichtheit. Kunst erreicht uns in Schlichtheit.

Wie Gott auch. Eine alte Postkarte auf meiner Tür, ein zerknittertes Gebetsbild des Gesangbuches vergangener Tag erfüllt den vor mir liegenden Tag mit ausreichender Schönheit, um die nächste Woche zu bestehen. Ein listiger Engel des Malers Klee, lächelt verschmitzt aus einer Bleistiftlinie. Oder glänzende schwarze Farben des Malers Soulages. Oder das anonyme Kreuz des anonymen Gottes. Das ist LebensSinn in knappster Form, mitten in der Absurdität unseres Daseins.
Aus diesem Blick werden jetzt alle Menschen zu lebendiger Kunst. In ihrer unerreichbaren Einmaligkeit. Und die weite Welt, bald zerstört von uns. Von unserer Gleichgültigkeit, wenn unsere fehlende Innerlichkeit ihr keine Existenzberechtigung mehr zuspricht.
In jeder Begegnung unseres Lebens wird sich wiederkehrend vom Grunde her das gleiche Drama abspielen. Die geheimsten Botschaften meiner Mitmenschen werden wir nur in uns aufzunehmen vermögen, wenn wir uns dann und wann auch nackt zu wagen von dem, was wir schon glauben zu wissen. Wenn ich ihre ansprechenden Gesichter als die einzige Nachricht Gottes für mich in diesem Jetzt betrachte. Leben heißt, Künstler/in sein. Verantwortlich zu sein für die ganz persönliche und einmalige Rolle des eigenen Lebens. Und für das ganze Stück: „für alles, für alle, vor allen“, wie Dostojewski schrieb.

M.S. nach Julien Lambert SJ

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